32. EMAF mit einer "ganz eigenen Mischung aus Wildwuchs und Struktur"

Ausstellung „Wild Wild Grammar“ noch bis zum 30. Juni 2019 in der Kunsthalle Osnabrück

Mehr als 140 Kurz- und Langfilme, fast 40 Installationen, zahlreiche Performances und Talks sowie ein großer studentischer Bereich - das sind nur die Rahmendaten des 32. European Media Art Festivals, das am 28. April 2019 nach fünf Tagen zu Ende gegangen ist. Begeisterte Besucher, neue, richtungsweisende Medienkunstarbeiten und Programmsparten, die miteinander verzahnt sind - das beschreibt das Festival etwas näher.  

„Das EMAF ist eindeutig das Festival in der Stadt mit den jüngsten Besuchern“, sagt eine Frau, während sie mit Kinokarten in der Hand an einem sonnigen Festivalabend vor dem Filmtheater Hasetor steht und auf die vielen Studierenden blickt, die zu den Gästen zählen.

Dazu gehörten viele junge Frauen und Männer, die an den beiden Osnabrücker Hochschulen studieren; das Team des Media Campus INIT des EMAF, der von Studierenden organisiert wurde; und zum zweiten Mal in diesem Jahr auch die TeilnehmerInnen von „INIT Experience“. Vier Klassen von vier internationalen Hochschulen waren dazu eingeladen, ihre aktuellen Arbeiten zu präsentieren, und ihr Programm selbst zu kuratieren.

Die LUCA School of Arts aus Gent gehörte dazu, die AKI Academy of Art and Design Enschede, die Hochschule für Künste Bremen und die KHM Köln. Heraus kam dabei ein überraschendes Programm mit Spontan-Performances, einem eigenen Kino und Installationen, die dem Betrachter Schauer über den Rücken jagten.

Für das EMAF bleibt der studentische Bereich des Festivals eine wichtige Säule. „Immer mehr Hochschulen bieten inzwischen mediale Studiengänge an. Wir wollen vor allem dem künstlerischen, kritisch-kreativen Bereich ein Forum bieten“, sagt Festivalleiter Hermann Nöring, der INIT Experience koordiniert hat. Das sorge für neue Impulse sowohl im Austausch zwischen den Studierenden der einzelnen Hochschulen als auch zwischen Festival und Besucher*innen.

Schon die Eröffnung 24. Aprill 2019 in der Kunsthalle Osnabrück gab einen Hinweis darauf, wie sich die kommenden Tagen entwickeln sollten: Mehr als 2.000 Menschen waren nach Angaben der Stadt dabei, als sich die neue Festivalleiterin Katrin Mundt vorstellte und gemeinsam mit ihren Kollegen Hermann Nöring und Alfred Rotert das 32. European Media Art Festival eröffnete. Ein großer Dank ging dabei an Ralf Sausmikat, den langjährigen Festivalleiter, der - wie nun Mundt - den Bereich Film und Video anführte.

Wie kommt man dazu, einen vermeintlich widersprüchlichen Begriff wie „Wild Grammar“ als Motto zu wählen? Katrin Mundt beantwortete diese Frage mit einem Rückblick in die Geschichte, auf Dada, Surrealismus und Fluxus, und mit der gesellschaftlichen Funktion von Sprache heute.

„`Wild Grammar´ zum Thema zu machen, heißt, über alle Facetten dieses Begriffs zu sprechen, die emanzipatorischen ebenso wie die fragwürdigen oder gefährlichen. Wir möchten darum mit Ihnen ins Gespräch kommen über eine Kunst, die uns zwingt, unsere Begriffe neu zu lernen und unsere Haltung neu zu finden“, sagte Mundt in ihrer Eröffnungsrede.

Nicht zuletzt entwickele ein Festival wie das EMAF mit seinem Fokus auf experimentellen Kunstformen und mit inzwischen so unterschiedlichen Präsentationsformaten, Spielorten und Beteiligten seine ganz eigene Mischung aus Wildwuchs und Struktur, Konzentration und Unruhe. Auch die gehöre immer wieder befragt im Hinblick darauf, wieviel Freiheiten sich ein Festival leisten könne, wolle und müsse, um in Bewegung zu bleiben und Neues möglich zu machen. Die Preise des European Media Art Festivals wurden in diesem Jahr zum ersten Mal in der Kunsthalle Osnabrück verliehen, und zwar in dem von Ko-Kurator Franz Reimer entworfenen Forum, in dem auch „EMAF Talks“ stattfand - wie die Konferenz des EMAF seit diesem Jahr heißt. Hier wurde die Nähe zwischen den einzelnen Festivalsektionen auch räumlich spürbar.

Der mit 3.000 Euro dotierte Hauptpreis, der EMAF Award für eine richtungsweisende Arbeit in der Medienkunst, ging in diesem Jahr an zwei KünstlerInnen: Dora García wurde für ihre Arbeit SEGUNDA VEZ / SECOND TIME AROUND (BE/NO 2018) ausgezeichnet; Jaakko Pallasvuo, Antti Jussila und Jari Kallio für ihren Film „Fruits of the Loom“ (FI 2019). SEGUNDA VEZ kreist um die Figur des argentinischen Psychoanalytikers Oscar Masotta, dessen Denken und künstlerische Praxis das kulturelle Leben seines Landes in den 1960er Jahren nachhaltig prägte, bis die Perón-Diktatur ihn ins Exil zwang. Jaakko Pallasvuo nahm in Osnabrück den Preis für FUITS OF THE LOOM entgegen. Darin verlieben sich ein Kommunist und ein Kapitalist ineinander. Gemeinsam versuchen sie, der Gesellschaft zu entkommen. Ihr gemeinsames Kind stellt später die Eskapaden der beiden in Frage.

Der mit 2.000 Euro dotierte Dialog-Preis des Auswärtigen Amtes wird auf dem EMAF jährlich an eine Arbeit vergeben, die den interkulturellen Austausch fördert. Er ging in diesem Jahr an Vincent Meessen für UTLRAMARINE. Der Film schickt die Spoken Word-Performance des afroamerikanischen Dichters Kain durch den chromatischen, historischen und diskursiven Filter der Farbe Blau.

Der EMAF Medienkunstpreis der Deutschen Filmkritik (VDFK), der mit 1.000 Euro dotiert ist, ging in diesem Jahr an Gernot Wieland für seine Arbeit INK IN MILK (AT 2018). "Kein Film passt besser zum Festivalmotto `Wild Grammar´. `Wild Grammar´ heißt: wildes Denken, heißt Welterzählung, ist konzentriertes visuelles Erzählen. INK IN MILK ist eine Hommage an jedes der einzelnen Filmbilder, die sich in der Summe zur kunstvollen Narration zusammenfügen." so ein Auszug aus der Begründung der Jury.

Zu dem von Gabriela Monroy und Caspar Stracke kuratierten Themenprogramm „Wild Grammar“ gehörten neben der Originalfassung von Jean-Luc Godards neuestem Werk „Bildbuch“ auch die Re-Inszenierung der Performance „7360 Sukiyaki“ von Tony Conrad aus dem Jahr 1974.

Highlights von „EMAF Talks“ waren unter anderem die Lectures von Inke Arns über Rechtspopulismus im Netz und von Claudio Agosti über mögliche Widerstände gegen unsichtbare Algorithmen. Agosti gründete dazu im Vorfeld der Europawahlen „facebook tracking exposed“

Die Ausstellung „Wild Wild Grammar“ in der Kunsthalle Osnabrück ist noch bis zum 30. Juni zu sehen. Dabei erweitert und verändert sich ihr Programm: Sie präsentiert zusätzlich vier Filme und eine Installation. Als Beispiele für das umfangreiche Filmprogramm des EMAF werden ab sofort die Filme VIDEO HOME SYSTEM von Sharlene Bamboat, ALTIPLANO von Malena Szlam, INK IN MILK von Gernot Wieland und THE TRANSFIGURATION von Stephan Ganoff im Forum der Kunsthalle Osnabrück zu sehen sein. Außerdem zeigt das EMAF die Installation "20grad - Gravity" von Jannik Bussman, Dirk Erdmann und Robert Schnüll, die während des Festivals im Felix Nussbaum-Haus eingerichtet war. Die Installation 4. Halbzeit von Wermke/Leinkauf wird noch bis zum 26. Mai gezeigt.

Das 33. European Media Art Festival in Osnabrück findet vom 22. April bis 26. April 2020 statt.

Weitere Informationen: www.emaf.de

Fotos: Kerstin Hehmann, Angela von Brill