Das Dokudrama und die Macht der Zeitzeugen

Filmpremiere und ausführliche Gespräche beim nordmedia-Talk

Der nordmedia-Talk Hannover begann am 25. Mai 2011 erstmals mit einer Filmpremerie. Die Uraufführung der szenischen Dokumentation DIE MACHT DER LEIDENSCHAFT - KARL AUGUST FÜRST VON HARDENBERG von Gordian Maugg sorgte für ein voll besetztes Kino im Künstlerhaus. Das Publikum ging mit auf eine Zeitreise über das Leben eines der prägendsten deutschen Spitzenpolitiker um 1800 im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons. Gestützt auf Briefe und Tagebücher setzte Gordian Maugg das Leben Hardenbergs mit vielen Darstellern gekonnt in Szene. Nach der Vorführung gab es einen langen Applaus für den Regisseur, das Produktionsteam von der LOOKS Medienproduktionen GmbH und die zahlreichen anwesenden Mitwirkenden vor und hinter der Kamera.

Dirk Neuhoff, Viktoria Urmersbach, Raymond Ley, Ulrike Dotzer, Gordian Maugg, Eike Besuden und Jochen Coldewey (v.l.)
Dirk Neuhoff, Viktoria Urmersbach, Raymond Ley, Ulrike Dotzer, Gordian Maugg, Eike Besuden und Jochen Coldewey (v.l.)

Nach einer kurzen Pause startete der zweite Teil des Abends mit der Podiumsdiskussion „Zwischen Fakt und Fiktion - mit dem Dokudrama auf Zeitreise“. Moderator Jochen Coldewey diskutierte anhand von zahlreichen Filmausschnitten mit den Redakteuren Ulrike Dotzer und Dirk Neuhoff, der Historikerin und Journalistin Viktoria Urmersbach sowie mit den Autoren und Regisseuren Gordian Maugg, Raymond Ley und Eike Besuden. Im Zentrum der spannenden und langen Diskussion standen u.a. die Fragen, wie der Balanceakt zwischen Dokumentation und Fiktion zu meistern ist und was die Besonderheiten bei der Arbeit mit Zeitzeugen sind.

Dirk Neuhoff und Viktoria Urmersbach
Dirk Neuhoff und Viktoria Urmersbach

Dirk Neuhoff, NDR-Redaktionsleiter Dokumentation & Reportage, betonte, dass gerade wegen der intensiven Arbeit mit den Zeitzeugen bei solchen Produktionen eine mehrjährige, redaktionelle Vorlaufzeit notwendig sei, in der eine ausführliche Recherche stattfinden kann und muss. Denn zur Erfüllung der journalistischen Sorgfaltspflicht sei es wichtig, dass alle vor der Kamera getroffenen Aussagen auch durch historische Fakten belegbar seien. Dies unterstrich auch Viktoria Urmersbach, die als Historikerin und Journalistin bei zahlreichen Dokudramen von Raymond Ley mitgearbeitet hat. Gerade wegen der Befragung von Zeitzeugen hätten Dokudramen darüber hinaus einen großen Vorteil gegenüber der traditionellen historischen Geschichtsschreibung, die sich nicht auf Zeitzeugen-Interviews stütze.

Viktoria Urmersbach und Raymond Ley
Viktoria Urmersbach und Raymond Ley

Raymond Ley, der u.a. DIE NACHT DER GROSSEN FLUT und ESCHEDE ZUG 884 inszenierte, schloss sich seinen Vorrednern an. Der Kontakt mit den Zeitzeugen sei eine enorme Herausforderung für den Regisseur, so Ley. Nicht zuletzt deshalb, weil die vielen interessanten und oft sehr emotionalen Gespräche zu einer möglichst authentischen, filmischen Umsetzung in den Dokudramen führen müssten. Zur dokumentarischen Verantwortung gehöre für ihn deshalb auch, dass die beteiligten Zeitzeugen den Film vor einer Erstausstrahlung im Fernsehen sehen und vorab beurteilen könnten. Insbesondere bei der Eschede-Produktion war hier eine hohe Sensibilität gefragt. Da bei den Dreharbeiten für das Dokudrama das Zugunglück noch keine zehn Jahre zurücklag, waren die Zeitzeugen oft noch nicht zu Gesprächen bereit, zumal sie unmittelbar nach der Zugkatastrophe von Medienvertretern zum Teil überrannt worden seien.

Jochen Coldewey
Jochen Coldewey

Ulrike Dotzer lobte hier die gute Arbeit des Regisseurs Ley: Auch bei sensiblen Themen wie Eschede oder bei Leys Dokudrama DIE KINDER VON BLANKENESE hätten sich die Zeitzeugen verstanden gefühlt und die künstlerischen Freiheiten der Inszenierung akzeptiert. Jochen Coldewey konnte das bestätigen. Er war bei der Vorführung von ESCHEDE ZUG 884 vor Ort in Eschede dabei und erlebte den großen Zuspruch von allen Beteiligten.

Ein weiterer Aspekt des Abends war der Einsatz von inszenierten Spielszenen im Dokudrama. Raymond Ley berichtete, dass bei der Produktion der Dokudramen EICHMANNS ENDE und DIE KINDER VON BLANKENESE lange im Vorfeld diskutiert wurde, ob man grausame Ereignisse in Spielszenen nachstellen darf. Letztendlich habe man sich aber entschlossen, dies zu tun, um die Zuschauer mit Hilfe der semifiktionale Form "durch eine Schleuse zu treiben" und ihnen so einen besseren Zugang zum Thema zu verschaffen kann, ohne dabei den Authenzitätsanspruch zu verlieren.